Making-Of Hard-Core-Weiler: Interview mit Ostkreuz-Fotografin Anne Schönharting

Die Fotografin Anne Schönharting verbindet in ihrer Arbeit Elemente der Modefotografie und der Sozialreportage. Ihre Modestrecken sind immer auch Portraits der Umgebung in der sie entstanden sind. Für Brioni inszenierte sie eine Kampagne in Italien und fotografierte für Louis Vuitton in Werben an der Elbe. Für uns hat sie sich in Köln-Chorweiler auf Spurensuche begeben – nach Fragmenten der Romantik inmitten von Nachkriegsarchitektur und Beton. Wir haben Sie nach dem Shoot zum Interview getroffen.

Köln Chorweiler ist ein Stadtteil, den man nicht unbedingt als erstes auf dem Schirm hat, wenn die Kulisse für ein Modeshooting denkt. Wie ist die Idee entstanden und wie bist Du da herangegangen?

Die Idee, in Chorweiler zu shooten hat sich entwickelt. Zuerst schwebte uns vor, Mode und architektonischen Brutalismus zu verbinden. Tatsächlich war es aber gar nicht so leicht, die entsprechenden Fotogenehmigungen zu bekommen. In einem Zoom-Call kam uns spontan die Idee, den größtmöglichen Bruch herbeizuführen, also Mode an einem Ort zu inszenieren, an dem man das in dieser Form überhaupt nicht erwarten würde. Mir schwebte ein Viertel vor, das zwar soziale Härten kennt, aber trotzdem über eine ganz eigene Identität verfügt. Ich hatte ein vages Bild eines Stadtteils im Kopf, der durch die Architektur der 1970er geprägt ist und der mit dem herkömmlichen Ideal eines schönen Stadtteils bricht. Ich mag solche Brüche.

Die Stylistin Nina Albrecht-Paffendorf ist dann nach Köln gefahren und hat sich in Chorweiler umgeschaut und Fotos gemacht. Ich habe parallel recherchiert. Als wir das Material zusammengetragen haben, fand ich das wahnsinnig interessant und wir wussten, dass wir uns richtig entschieden hatten.

Olga (links), Agentur: DEEBEEPHUNKY: Pailletten-Ensemble: IVI COLLECTION Yasemin (rechts), Agentur: Tiga Management: Bluse: IVI COLLECTION Ohrringe: FEJN Schuhe: UNISA Trackpants: ARENA Strumpfhose: FALKE Kette: FEJN Stiefeletten: KONSTANTIN STARKE Foto: Anne Schönharting

Wie ging es dann weiter? Wie bereitest Du Dich auf so ein Projekt vor? 

Nach dem Location Scouting entwickelt sich so ein Projekt ja immer weiter. Irgendwann bekam ich eine Übersicht der Styles zugeschickt, die die Stylistin in ihrem Atelier entwickelt hatte. Dann konnte ich mir ungefähr vorstellen, in welche Richtung es geht. Zu Beginn ist es oft eine ehe diffuses Gefühl, dass sich im Prozess immer stärker konkretisiert.  

Yasemin: Bra Top: FALKE Pantys: FALKE Strickkleid: Olga: Bra Top: FALKE Pantys: AMERICAN VINTAGE 1C1Y Kurzarm-Hoodie: ARENA Schuhe: TRIPPEN Strickkleid: AMERICAN VINTAGE Schuhe: TRIPPEN Foto: Anne Schönharting

Wie bist Du in Chorweiler vorgegangen, wie habt Ihr die Locations ausgewählt?

Sobald ich vor Ort bin, bin ich im Arbeitsmodus. Das ist dann, als hätte man einen Schalter umgelegt. Ich geh dann rum und ich denke in Bildern und entwickle ein Portfolio der Locations vor meinem inneren Auge. Es ist einfach klar, man muss schnell Entscheidungen treffen und ich bin da relativ klar. Ich sehe etwas und denke, das ist ein interessanter Hintergrund, super, oder ich denke, dass ich diese Balustrade gut ins Bild setzen könnte, Das ist nichts Rationales. Man könnte auch sagen: Die Location zieht auch die Kleidung an und andersrum.

Goldenes Licht und flirrende Pailletten. Fotografin Anne Schönharting nimmt die Lichtstimmung auf und inszeniert die Models im Kontext. Foto: Anne Schönharting

Ihr habt mit einem kleinen mobilen Team gearbeitet. Du hattest eine Assistentin für das Licht dabei, außerdem waren neben den beiden Modells Olga und Yasemin noch die Kreativdirektorin, die Stylistin und Visagistin dabei. Das ist für so eine Produktion ein recht kompaktes Team…

Mode ist auch Porträt. Für mich sind die Grenzen fließend. Zu Beginn musste ich erstmal ein Gefühl für die beiden Frauen Olga und Yasemin bekommen. Den Begriff „Models“ verwende ich nur sehr ungern, weil von den Menschen wegführt. Ganz wichtig ist, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.

Die meisten Bilder ergeben sich dann im Prozess und in der Zusammenarbeit mit Kreativdirektion und Stylistin. Als wir das Treppenhaus mit dem Marmorboden sahen, wusste ich, dass es das perfekte Setting war, um die Outfits im Stil der 1970er dort zu inszenieren. Diese Anmutung der bundesrepublikanischen Architektur passte einfach perfekt.

  • Panorama von Köln Chorweiler
  • Das Fototeam um die Fotografin Anne Schönharting bereitet sich auf das Shooting in Köln Chorweiler vor. Foto: raufeld
  • Making-Of der Modestrecke Hard-Core-Weiler für das
  • Ein Bild des Fotoshoots wird auf dem Balkon eines Hochhauses in Chorweiler aufgenommen

Wir hatten keine konkrete Agenda für diese Outfits, aber wenn Mode und Kontext derart zusammenpassen, ruft es förmlich danach, und man wäre blind, wenn man es dann nicht an diesem Ort umsetzen würde. Ich mag diese spontane Art der Modefotografie, die nicht akribisch durchgetaktet ist. Es eröffnet einen Raum für Spontaneität und Flexibilität, aus dem dann Neues entstehen kann. 

Olga: Rollkragenshirt: AMERICAN VINTAGE  Blazer und Rock: MARC O ́POLO  Strümpfe: FALKE  Schuhe: UNISA  Ring: FEJN  Tasche: MARC O ́POLO Yasemin: Hemdbluse und Hose: MARC O`POLO  Trenchcoat: MARC O ́POLO  Ring: FEJN Stiefeletten: KONSTANTIN STARKE  Leoparden-Kunstfelltasche: UNISA Foto: Anne Schönharting

Du hast mal eine Strecke für das italienische Modelabel „Brioni“ fotografiert, da war das Vorgehen etwas anders, oder? 

Für Brioni waren wir ein Team mit ungefähr 20 Leuten. Das ist ein anderes Arbeiten. Ich hatte manchmal nur einen Tag vorher Zeit, mich auf den konkreten Ort vorzubereiten. Da habe ich die Bilder des nachts in meinem Kopf zusammengesetzt, um sie am folgenden Tag ganz genau so umzusetzen.

Für Brioni hat mich ein Beleuchter vom Film begleitet, mit einem kleinen Lastwagen voller Equipment. Er hat dann von außen in die Räume hineingeleuchtet, um das natürlich Licht zu verstärken. Wir haben das komplette Set aufgebaut, um eine ganz konkrete Stimmung zu erzeugen. Als Fotografin brauchst Du ein tiefes Vertrauen in deine eigenen Entscheidungen und musst dem Team vertrauen, um solche Produktionen durchzuziehen.

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Obwohl das Team recht klein war, ist der Aufwand bei so einer Produktion recht hoch:  Outfitwechsel, Location Wechsel, man ist den ganzen Tag unterwegs. Wie schaffst Du es, die Energie des Teams über den gesamten Zeitraum hochzuhalten? 

Es gibt zwei Dinge, auf die man achten sollte: Die Pausen dürfen nicht zu lange sein, weil man dann den Fokus verliert und man muss offen kommunizieren, wenn man mal einen Moment innehalten muss. Ich bin da eher radikal und sage, dass ich mal 10 Minuten brauche, um zu überlegen. 

Es hilft auch, das Team einzubinden. Ich bin davon überzeugt, dass eine Gruppe manchmal intelligenter ist als ein einzelner Mensch. Es ist wichtig, den Input, auch den der Models aufzunehmen. Es ist wichtig, einen möglichst angstfreien Raum zu schaffen, um in einen Flow reinzukommen, de offen für die Ideen des Teams ist.

Am Ende geht es einfach darum, die Energie aller Beteiligten zu verwalten. Ich arbeite an solchen Tagen bis zum Umfallen. Ganz wichtig ist auch, im Moment zu sein. Wenn man eine Situation sieht, muss man sie umsetzen. Später auf eine Idee zurückzukommen bringt in der Regel nicht. Entweder man nutzt einen Moment sofort oder gar nicht. 

Ich bin eine große Menschenfreundin und es macht mir wahnsinnig Spaß, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, das. Team merkt das und in der Regel ziehen alle mit.

  • Das Model Olga läuft an einem heissen Sommertag in einem neongrünen Badeanzug über einen Platz mit Brunnen in Köln Chorweiler. In der Hand hält sie einen Regenschirm. Foto: Anne Schönharting
  • Das Model Olga läuft an einem heissen Sommertag in einem neongrünen Badeanzug über einen Platz mit Brunnen in Köln Chorweiler. In der Hand hält sie einen Regenschirm. Foto: Anne Schönharting
  • Das Model Olga läuft an einem heissen Sommertag in einem neongrünen Badeanzug über einen Platz mit Brunnen in Köln Chorweiler. In der Hand hält sie einen Regenschirm. Foto: Anne Schönharting

Ein Bild fällt ein bisschen aus dem Rahmen: Das Model Olga läuft im Badeanzug mitten in Chorweiler durch einen Brunnen…

Als wir am Vormittag über diesen Platz gelaufen sind, habe ich einige Kinder gesehen, die da barfuß gespielt haben. Es war sehr heiß an diesem Tag und die Szene hatte so etwas Befreites, Fröhliches – auch das ist Chorweiler. 

Wie wirkte de Stadtteil auf Dich. Chorweiler ist auch bekannt für seine sozialen Härten, die den Alltag einiger Menschen dort prägen.

Tagsüber war ich begeistert, weil man merkt, dass dem Viertel ursprünglich mal ein schöner stadtarchitektonischer Gedanke zugrunde lag.  Man merkt, dass die Stadtplaner nachgedacht haben, sie haben den öffentlichen Raum liebevoll gestaltet, Orte der Begegnung geschaffen und jede Menge Grünflächen. Was allerdings auch stimmt ist, dass dort mittlerweile vieles heruntergewirtschaftet ist, wenn man genau hinschaut. Dabei ist die Substanz richtig gut. Ich frage mich, warum eine Stadtgesellschaft es zulässt, dass sich solche Orte so entwickeln. Mir kam der Bauhaus-Gedanke in den Sinn, dass die Form den Inhalt prägt. Ich glaube, dass viele Menschen in Chorweiler mitgehen würden, wenn die Stadt anfinge, das Quartier aufzuwerten und die Menschen miteinzubeziehen.

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