Der Ebertplatz Köln in der Totalen
De Ebertplatz in Köln: Der größte innerstädtische Platz ist ein Relikt aus der Zeiten der autogerechten Stadtplanung. Jetzt arbeiten Stadtgesellschaft und Politik Hand in Hand, um den Platz zum Zentrum kreativen Lebens zu machen. Foto: Nils Bröer

Ebertplatz Köln, mon amour

Der Ebertplatz Köln ist stadtgewordenes Spannungsfeld. Lange lag das brutalistische Monstrum brach. Jetzt macht eine Community aus Kreativen den Ort zum Zukunftslabor der Stadtgesellschaft von morgen – ein Ortsbesuch.

Nein, der Portier meines Hotels ist kein Fan: Völlig grotesk findet er die Idee, einen ganzen Tag auf dem Ebertplatz zu verbringen. Überall Dealer, Kriminelle, und überhaupt. Man sei dort seines Lebens nicht sicher, sagt er. Zugegeben, der Leumund des Ebertplatzes könnte wirklich besser sein. Die brutalistische Monstrosität liegt wie ein zu Beton erstarrter Gruß aus den 1960ern nur ein paar Minuten vom Dom entfernt. Ein Echo aus der Zeit, als die Stadtplanung die autogerechte Stadt noch für eine gute Idee hielt. Eigentlich nicht gemacht für Menschen, sondern dafür, möglichst schnell abzutauchen – in den unterirdischen Personennahverkehr. 

Ebertplatz Köln: Zwischen Transitpunkt und Transition

Der Ebertplatz ist Transitpunkt. In doppelter Hinsicht. Hier hat die spektakulärste Off-Szene der Kölner Kultur ihren Platz gefunden. Galerien, Kunsträume, experimentelle Musikprojekte, künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum. Internationale Sammler*innen bevölkern die umliegenden Cafés und Bars. Aber nicht nur die Kreativ-Community treibt die Veränderung an. Freiwillige pflegen die Grünanlagen und Initiativen aus der Nachbarschaft sind ebenso im Boot. Sie alle wollen Schluss machen mit dem schlechten Image des Platzes. Ein Mammutexperiment, das immer offensichtlicher und immer erfolgreicher gelingt. Als ich das dem Portier sage, zuckt er mit den Schultern: „Na dann, viel Spaß.“

Die Stadt haut sich richtig für uns in die Bresche. Die gegenseitige Wertschätzung ist nicht selbstverständlich. Wir schätzen das sehr.Ihsan Alisan, Kunstraum Mouches Volantes

Der Vormittag: Podeste, enge Jeans und Baseballschläger

[ 07:11 ] Es ist früh. Und es ist Juni. Und es ist schwül. Der Abend zuvor war einer dieser lauen Sommerabende, an denen alle lange draußenbleiben, noch ein Eis essen, weil niemand nach Hause will. Auf dem Platz saßen die Leute bis 23.00 Uhr vor dem Container gegenüber des Brunnens. Ich saß auf der anderen Straßenseite am Eigelsteintor bei Il Cancello. Die Straßenmusikermachten ständig Pause, weil irgendwer vorbeikam, den sie kannten. Jetzt ist der Ebertplatz verwaist. Wie die meisten Plätze um diese Zeit.

[ 08:20 ] Die Leute von der Stadtreinigung gehen ihrer Arbeit nach. Eineinhalb Stundenbrauchen sie auf dem Ebertplatz. Die paar Vereinzelten, die auf den Holzpodesten unter den Bäumen übernachtet haben, schlafen noch.

[ 08:40 ] Endlich Gesellschaft! Ein Mann in den 50ern, die engen Jeans etwas zu locker, das Hawaiihemd etwas zu weit setzt sich ein paar Meter entfernt auf die Betonbank. „Nicht viel los hier, oder“ – „Wenn’s voller wird, wird’s auch stressiger“ – „Warum?“- „Tja, Sie werden hier schon Ihre Erfahrungen machen, junger Mann.“ Was er meint, sagt er nicht, grinst wenig herzlich – und geht. 

[ 09:15 ] An den Reklamesäulen in der U-Bahn-Unterführung hat eine ukrainische Künstlerin Erinnerungsfragmente an ihre Heimat aufgeschrieben. Aus Lautsprechern raschelt eine Soundinstallation – Vogelzwitschern trifft Sonic Youth (Frühphase).

[ 10:36 ] Shage Imas, 52, steht in ihrem U-Bahn-Kiosk. Sie macht das hier seit 30 Jahren. Nur die Dealer gehen ihr auf den Senkel. Mit einer Nulltolleranz-Haltung hält sie sich die Klientel vom Leib. Gibt es Ärger, kommt die Polizei. Ganz einfach. Das funktioniert. Man nennt sie hier unten „Die Schwester.“ Die Schwester hat einen Baseballschläger unter der Theke.

Die Sitzgelegenheiten auf dem Ebertplatz sind wie gemacht für ein kaltes Erfrischungsgetränk in der Sonne. Foto: Nils Bröer

[ 11:17 ] Martin Karl, 38, kommt gerade vom Sport. Wir drehen uns in einem der Schalensessel hin und her. Martin lebt seit 2012 im Agnesviertel. Probleme hatte er auf dem Ebertplatz noch nie. Im Gegenteil: Er kommt hier gerne vorbei, Leutegucken, Kaffeetrinken. „Ist doch cool, wie viele Menschen hier über den Tag zusammenkommen,“ sagt er. „Probleme gibt’s nur, wenn wir falsch damit umgehen.“

Der Nachmittag: Flat-White, ganz viel Wasser und die Pointer Sisters

[ 13:10 ] Flat White vor dem Platzcafé mit Helle Habenicht. Sie hat „so ziemlich den besten Überblick“ über alle relevanten Akteur*innen auf dem Platz. 2018 hat sie ihre Masterarbeit über den Platz geschrieben. Jetzt ist sie freie Mitarbeiterin für die Stadt Köln und koordiniert mit ihren Kollegen vom Stadtplanungs- und Kulturamt die Zwischennutzung. Das Engagement der Stadt ist eine Kehrtwende. Bis circa 2017 hatte man den Platz sich selbst überlassen. Wirklich besonders ist aber, dass Helle und ihre Kolleg*innen unter den Kulturschaffen den jede Menge Fans haben. Kultur und Verwaltung, Hand in Hand, das ist selten, aber notwendig, damit es funktioniert.

[ 14:30 ] Roman Jungblut setzt sich dazu. Der Künstler hat eine der Rolltreppeninstallationen realisiert – und die Soundinstallation im U-Bahn-Gang und eigentlich fast alles auf dem Platz, das man braucht, damit man dort Kultur machen kann: „Hier macht niemand Dienst nach Vorschrift“, sagt er, „das ist der Grund, warum es funktioniert.“ Mittlerweile ist es voll geworden auf dem Platz. Das Café ist voll, Kinder wuseln umher, rennen durch den riesigen Brunnen, der das Herz des Platzes ist.

Am Ebertplatz wird Kunst und Kultur großgeschrieben. Foto: Nils Bröer

[ 16:30 ] Grisha Göddertz Vater, Wolfgang, hat den Brunnen gebaut. Jetzt stehen wir barfuß inmitten der begehbaren „Wasserkinetischen Plastik.“ 18.000 Liter pro Stunde tosen durch die Pumpen, „Die Menschen lieben den Brunnen und sie haben sich den Platz zurückgeholt.“ Zurückgeholt, auch von den Dealern. Die haben sich längst verkrochen. Niemand legt sich mit Müttern an, die in der Sonne Latte trinken, während der Nachwuchs durch die Gischt tobt.

[ 17:27 ] Aufbau für das inoffizielle Sommerfest der Kunsträume in den Passagen. Der „Feierabendchor Nippes“ singt „I’m so excited“ von den Pointer Sisters.

Der Abend: Auktion, Stadtgeschichte und das Referat 66

[ 18:13 ] Meryem Erkus sitzt vor ihrer Galerie Gold+Beton. Sie ist seit 2013 am Ebertplatz. Dem kommerziellen Kunstmarkt kann sie nichts abgewinnen: „Kunst ist keine Ware“, sagt sie.

Die Kunsträume auf dem Ebertplatz sind die größte zusammenhängende Fläche für Off-Kunst in Köln.

Meryem Erkus, Galerie Gold+Beton

[ 21:05 ] Auktionsende im Kunstraum Mouches Volantes. Die halbe Redaktion vom „Kunstforum“ war da. Mit Hilfe der Auktionatorin Marion Scharmann vom Auktionshaus Van Ham hat Ausstellungsmacher Ihsan Alisan Geld für Erdbebenbetroffene gesammelt. Für Mouches Volantes hat er 2020 seinen Job als Ingenieur aufgeben: „Im Augenblick finde ich die Szene in Köln interessanter als die Szene in Berlin.“

[ 22:46 ] Michael Nowottny packt zusammen. Mit ihm hat das auf dem Ebertplatz angefangen. Sein „Labor“ war der Pionierraum. Die richtig guten Geschichten der Platzgeschichte kennt er alle. Die Schönste von der Geburtsstunde ist diese: „Kein Mensch weiß, wer den Platz in den 1970ern geplant hat. Das Stadtplanungsamt hieß Referat 66, die Säulen in der Passage sind 6,66 Meter voneinander entfernt, der Platz ist sechseckig. Und irgendwann müssen die Planer mal gemeinsam zusammengesessen haben, im Wohnzimmer, Kippen und Bier auf dem Tisch. Im Fernsehen läuft Raumpatroullie Orion. Und dann nimmt jemand einen tiefen Zug, lehnt sich zurück und sagt: „Dat es jot.“

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