Der Laden Kurz und Weit mit Sitzgelegenheiten und an der rechten Wand befinden sich Regale mit Brillenmodellen.
Die Kölner Brillenmanufaktur „Kurz & Weit“ lässt Brillenträume wahr werden - und zwar in Handarbeit. Foto: Kurz & Weit

Die Kölner Brille des Lebens

Bei Kurz & Weit im Belgischen Viertel werden Brillen per Hand gemacht. Martin Becker begibt sich auf die Suche nach der perfekten Brille.

Sie heißen Rheinauhafen, Rathenauplatz, Aachener Weiher. Aber hier gehts nicht um die einschlägig bekannten und besonders hippen Spots auf der Kölner Stadtkarte, sondern um Brillen, von Hand hergestellt in der Brillenmanufaktur „Kurz & Weit”. Nichts geringeres als diese eine, die Brille, die man ein ganzes Leben lang behält, will Inhaber Jens Heinzerling herstellen. Ob das gelingt, hat unser Autor mit eigenen Augen ausprobiert.

Die Brillenkreationen in der Auslage von „Kurz & Weit“ sind Einzelstücke. Sie sind nach Kölner Plätzen, Vierteln oder legendären Clubs benannt. Der kleine Laden in der Antwerpener Straße ist kein gewöhnlicher Optiker. Ich betrete das Geschäft, um auf die Jagd zu gehen – nach der Brille, die mein Leben verändert.

Brillen aus der Kölner Manufaktur: jedes Stück ein Unikat

Augenoptikermeister Jens Heinzerling macht das individuelle Guckstück möglich. 2010 eröffnet er mit seiner Frau Ina die Manufaktur. Beide haben eine Vision: Sie wollen keine Brillen von der Stange verkaufen – das hat Heinzerling in den Jahren davor lang genug gemacht. Tagtäglich. Als Angestellter bei einer großen Optikerkette, die mit dem kleinen Nulltarif wirbt. Im „Kurz & Weit“ will er Originale kreieren. Mit ungewöhnlichen Materialien und in ausgefallenen Farben. Komplett von Hand und stets als Unikat.

Aber bis mein perfektes, handgemachtes Brillenunikat fertig ist, dauert es eine Weile, denn die Suche nach dem, was zu mir, bzw. meinem Gesicht passt, ist komplex. Genauso wie die Wahl des richtigen Rohmaterials. Und daran zu kommen, ist gar nicht leicht. Woher sollen die Acetatblöcke kommen, woher die Scharniere, fragt sich Heinzerling, als er seinen Laden eröffnet. In Frankreich wird er fündig: Dort gibt es einen Lieferanten, den er für sein Kölner Brillenprojekt begeistern kann und der auch kleinere Restbestände an die gerade entstehende Brillenmanufaktur im Belgischen Viertel liefert. „Wir hatten kiloweise Material zum Zersägen, zum Kaputtmachen, zum Ausprobieren“, sagt der Augenoptikermeister heute. Am Ende der Experimentierphase steht schließlich ein Resultat, das Heinzerling nie vergessen wird: die erste Fassung Marke „Kurz & Weit“. Von Hand gesägt, geschliffen und poliert. Noch immer strahlt Jens Heinzerling wenn er sagt: „Unsere ersten beiden Brillen werden heute noch getragen.“

Eine runde Brille mit grünem Rahmen.
Bei „Kurz & Weit“ ist jede Brille ein Unikat, noch dazu mit echt kölschem Namen. Foto: Kurz & Weit

Die Unikat-Brille aus Köln entsteht im Gesicht

Bis ich meine Brille aus dem „Kurz & Weit“ tragen kann, durchlaufe ich eine penible und ausführliche Beratung. Und das heißt eben nicht nur: Gestell auf, Gestell ab, nächstes Modell. Wir tasten uns langsam heran an die perfekte Brille. Wir reden. Über Formen und Farben. Über Alltag und Ansprüche: „Wir entwerfen nicht einfach eine Brille auf Papier, womit wir hier arbeiten, ist im Gesicht des Kunden entstanden.“ Ich werde selbst zum Teil des Entstehungsprozesses. Während wir sprechen, greift Jens gezielt in die Auslage und reicht mir ein älteres Gestell: „Probier mal, vielleicht geht das ja in die richtige Richtung“. Wir tasten uns voran. Langsam. Wie verändert sich mein Gesicht mit einer komplett anderen Brille? Lassen sich charmante Eigenheiten unterstreichen, anstatt sie zu kaschieren? Jens Heinzerling: „Wir wollen niemanden verkleiden, jeder muss sich damit wohlfühlen.“

Ausprobieren, bis es knistert

Nach ein paar Versuchen stellt sich bei mir der magische Moment ein, den der Augenoptikermeister als ein „Knistern“ bezeichnet: Plötzlich ist da eine Brille, die einfach zu mir passt. Ziemlich gut sogar. Jens holt seinen Kollegen André Jansen dazu, Mitarbeiter seit vielen Jahren, und es herrscht Einigkeit: diese Form ist der Hammer. Auf die Farbe des Gestells einigen wir uns dann schnell. Es gibt da dieses kleine Acetatstück, ein Rest, aus dem bislang vor allem Brillenbügel hergestellt wurden: edles Grau, dezent marmoriert. Ich verlasse den Laden im Belgischen Viertel an diesem Nachmittag mit dem aufgeregten Gefühl, Teil eines zeitlosen Rituals gewesen zu sein, irgendwo zwischen Kunst und Handwerk. So müssen sich die Leute seit Jahrhunderten fühlen, wenn sie zum Schneider gehen und sich einen Maßanzug anfertigen lassen.

Die Kundschaft schätzt den liebevollen Prozess, der eben mehr Zeit braucht als man sich beim Brillendiscounter nehmen kann. Mittlerweile werden die Unikate aus dem „Kurz & Weit“ in Namibia, Südafrika, Chile, Australien, Mexiko und den USA getragen. Manchmal entdecken die Kundinnen und Kunden den kleinen Laden zufällig beim Bummeln in Köln, manchmal kommen sie auch ganz gezielt. Fest steht vor allem: Sie kommen wieder.

Eine Brille, die deinen Namen trägt: Kölns Veedel als Gestell

Auch ich komme wieder. Als mein Brillengestell in der Werkstatt vom „Kurz & Weit“ fertig ist, zeigt mit André Jansen mein Unikat und ermittelt die richtige Bügellänge – und lässt mich über die Schultern schauen, während er die Bügel auf die richtige Länge fräst und sie mit präzisen Bewegungen am Gestell festschraubt. Die Gläser, aus einer ausgewählten Manufaktur in Bamberg werden meine Brille des Lebens vollenden und verglasen. Noch in der Werkstatt macht André Fotos von mir und der Brille auf meiner Nase, kontrolliert die Zentrierung der Brillengläser, bevor sie später in der Werkstatt eingeschliffen werden – selbstverständlich auch in Handarbeit. Nun habe ich also die perfekte Brille – made in Köln. Ich werde sie „Deutzer Freiheit“ nennen.

Kurz und Weit Brillenmanufaktur
Antwerpener Straße 13
50672 Köln

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