Es gibt einfach keine schönere Aussicht. Mit einem Kaltgetränk vom Büdchen kommt man auf den sonnengewärmten Steinstufen vom Rheinboulevard schnell runter. Schaut auf den Rhein. Zählt mal wieder die Spitzen vom Dom und die ICEs, die über die Hohenzollernbrücke rollen. Schon klar, dass sich Köln Deutz laut Schäl Sick–Folklore auf der falschen Seite vom Fluss befindet. Aber dafür hat man den besten Blick. Und immerhin, noch ein Pluspunkt, gehört Deutz als einziges rechtsrheinisches Viertel ganz offiziell zur Innenstadt.
Richtig Leben auf der falschen Seite: Das Deutzer Jeföhl von Freiheit
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich nicht neutral bin: Meine erste Kölner Wohnung war in Deutz. In einer kleinen und engen Seitenstraße, in einem ziemlich renovierungsbedürftigen Neubau aus den Siebzigern. Schuhkartongroß mit niedriger Decke direkt unterm Dach, im Sommer unerträglich heiß. Das soll allen Ernstes schön gewesen sein? Und wie. Denn Deutz, das ist „Jeföhl in a nutshell“. Obendrein stets mit lauem Lüftchen vom Rhein. Sagen wir von mir aus: die kölscheste Kleinstadt Kölns. Das Kleine im Großen, das Alte im Neuen, schnieker Hipsterspot neben schrulliger Eckkneipe: Es geht richtig was auf der falschen Seite. Und dazu muss man noch nicht mal dort leben.
Um auch beim ersten Kurzbesuch direkt heimisch zu werden, gibt es beispielsweise das „Heimisch“. Schon der Weg dorthin ist so viel Köln Deutz wie möglich. Die Flaniermeile Deutzer Freiheit, die im Rahmen eines Testlaufs sogar mal komplett autofrei war, erinnert an eine klassische Fußgängerzone – aber lässiger und überhaupt nicht so ausgestorben wie in der westdeutschen Provinz. Bioladen, Kaffeeschuppen, Eisdiele, Buchhandlung, Pizzeria: Alles da auf engstem Raum.
Stullen wie zu Omas Zeiten, aber getunt
Wie früher, nur cooler. Das gilt auch für das Heimisch, die Deutzer Institution für Kaffee, Kuchen und Coworking. Die Philosophie ist einleuchtend, denn der Name ist Programm: Das Heimisch will ein zweites Zuhause sein. Und deshalb gibt es neben echt gutem Kaffee auch Stullen wie zu Omas Zeiten, aber geschmacklich aufgepimpt und zutatentechnisch getunt. Raffiniert arrangierte Pausenbrote und Salate, Biobackwaren und selbstverständlich hausgemachte Kuchen: Seit 2016 gibt es das Heimisch auf der Deutzer Freiheit – und es hat sich zu einem Hotspot für Locals und Tourist*innen gleichermaßen entwickelt. Noch dazu lässt die ruhigere obere Etage auch jedes Homeoffice-Herz höher schlagen: So gemütlich wie im Heimisch kann es in der eigenen Deutzer Dachkammer gar nicht sein, bei der Arbeit, nach Feierabend oder in den Ferien.
Hoch hinaus ganz ohne Dom
Zugegeben, Deutz ist nicht riesig – zumindest nicht auf dem Papier. Rund 15.000 Menschen wohnen im rechtsrheinischen Stadtteil, der trotz seiner überschaubaren Größe mit dem Deutzer Bahnhof an den Fernverkehr angeschlossen ist. Wer aus München, Frankfurt oder dem Ruhrgebiet anreist, der landet nicht selten zuerst am Bahnhof Köln Messe/Deutz. Von dort aus ist es nur ein Katzensprung über die Hohenzollernbrücke ins Zentrum. Aber da muss man gar nicht unbedingt sofort hin, wenn man die Vorzüge der Deutzer Freiheiten erst ein bisschen kennt. Vergessen wir auch das Offensichtliche nicht: Das Messegelände und die LANXESSarena sind ebenso Publikumsmagneten wie der Rheinpark mit Tanzbrunnen, Rheinseilbahn und Claudius-Therme.
Für die erste Orientierung können wir in unmittelbarer Bahnhofsnähe hoch hinaus. Und dafür sparen wir uns sogar das Treppensteigen im Dom: Der KölnTriangle ist mit seinen 103 Metern das zweithöchste Gebäude der Stadt – diverse Fernseh-Castingshows und Talkrunden haben das Panorama schon als Kulisse gehabt. Der spektakuläre Blick auf die Stadt von der rundherum verglasten Aussichtsplattform aus findet sich mittlerweile auf diverse Postkarten und Bierdeckeln und lohnt sich bei jeder Witterung.
Eine Straße für Lommi in Köln Deutz
Wer nach so viel schöner Aussicht zurück auf den Boden der Deutzer Tatsachen will, muss nur ein paar Meter laufen: Das Lommerzheim gilt seit Jahrzehnten als kölscheste aller Kölschkneipen. Eine kleine Straße führt vom Deutzer Bahnhof aus zum Lokal. Die schmale Gasse heißt Hans-Lommerzheim-Weg. Lommerzheim war der Betreiber der legendären Kneipe und starb 2005 – ihm zu Ehren trägt die Straße seinen Namen. In den Nullerjahren war das Lommerzheim für einige Jahre geschlossen – erlebte dann aber eine triumphale Rückkehr. Was so spektakulär ist am „Lommi“? So einfach ist das nicht zu beantworten. Es hat mit dem Deutzer Spirit an sich zu tun: Aus der Zeit gefallen und doch ganz im Hier und Jetzt. Wer Köln Deutz mag, wird Lommi lieben – und umgekehrt.
Eine Geschichte aus dem Jahr 1999 sagt alles über diesen Ort, den es eigentlich gar nicht geben kann: US-Präsident Bill Clinton wollte im Lommerzheim einkehren – aus Sicherheitsgründen hätte der Laden dann nicht für alle geöffnet sein dürfen. Geht nicht, meinte der Wirt, die Schließung wollte er den Stammgästen offenbar nicht antun. Zu den anderen, nicht-präsidialen Fakten: Das Haus ist heruntergekommen wie eh und je. Das Essen kommt mächtig und deftig daher (eigentlich egal, was man bestellt) – und die Freundlichkeit der Köbesse ist reine Glückssache. Während man woanders über solche Unberechenbarkeiten die Stirn runzelt, gehören sie hier dazu: Kölsch und Kotelett kriegt man am Ende doch – und ein (dann aber echtes!) Lächeln und einen kleinen Witz auch noch mit ein bisschen Glück.
Schäl Sick-Verbot für Bill Clinton
Damit nicht gleich ein Schäl Sick-Verbot verhängt wird wie für Bill Clinton: Man muss den Köbes im Lommerzheim einfach lieben. Ihn nehmen, wie er ist. Dafür wird man belohnt mit einem aus der Zeit gefallenen Kneipenerlebnis. Geht man anschließend auf abendliche Entdeckungstour durch die engen Straßen dieser Stadt in der Stadt, setzt man sich am Rhein ins Gras und schaut sehnsüchtig den zahllosen deutschen, niederländischen und belgischen Binnenschiffen nach, dann ist das Jeföhl pur. Dann fühlt man sich genau auf der richtigen Seite, denn alles andere wäre total falsch.
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