Gisa Funck und Gregor Schwering vor dem Blue Shell
Gisa Funck und Gregor Schwering vor dem Blue Shell. Foto: Melanie Grande

Cool Colonia! Wie der Spirit der 1980er die Stadt bis heute prägt

In den 80ern entwickelte sich Köln zum internationalen Zentrum für Kunst und Musik. Gisa Funck und Gregor Schwering waren damals mittendrin.

Die Literaturkritikerin Gisa Funck und der Literaturwissenschaftler Gregor Schwering haben ein Buch über die Subkulturen des Kölns der 1980er-Jahre geschrieben. Im Interview sprechen sie über den Spirit of Cologne, Cool Colonia, Joy Division, SPEX, Punk und darüber, warum die guten Zeiten der Subkultur in Köln eigentlich noch gar nicht vorbei sind.

Zwischen 1980 und 1995 war Köln unbestrittener internationaler Hotspot. Künstler*innen kamen aus New York, um sich vom „Spirit of Cologne“ inspirieren zu lassen. Warum gerade hier?

GREGOR SCHWERING: Im Rheinland hat das Sammeln von Kunst eine lange Tradition und potente Sammler schaffen immer ein günstiges Klima für aufstrebende Künstler. Der Kunstboom der 1980er spielte zudem eine große Rolle. Der renommierte Galerist Max Hetzler kam nach Köln, Martin Kippenberger zog 1982 hierher. Und es entstand die „Artbridge“ zwischen New York und Köln. Die Jungen Wilden, Kippenberger, Oehlen, Büttner, Dahn, waren Mitte der 1980er in den USA stark nachgefragt. Wer als Sammler etwas auf sich hielt, musste nach Köln kommen. Das geschah nicht im luftleeren Raum, es setzte sich eine Tradition fort, die in den 1960er- und 70er-Jahren mit Buthe, Klauke, Richter und Polke begonnen hatte. Nur steigerte sich die Nachfrage in den 80ern noch einmal deutlich.

Eine Boheme-Stadt braucht eine gewisse Toleranz für Träumer. Die gab es damals und die gibt es bis heute. Die Stadt ist 2.000 Jahre alt. Die Kölner denken: Was soll uns schon passieren?

Gisa Funck

GISA FUNCK: Ich glaube, es ist eine Mischung aus mehreren Faktoren, die bis heute gültig sind: die Nähe zur Kunsthochschule Düsseldorf, die Art Cologne, das Museum Ludwig. Hinzu kam damals, dass die anderen großen Städte einfach nicht so interessant waren. Hamburg galt als arrogant, München zwar als kuschelig, aber weitab vom Schuss im Süden. Köln ist für Galeristen auch wirklich gut gelegen, mit dem ICE ist man in vier Stunden in Paris, man fliegt eine Stunde und ist in London.

SCHWERING: Neulich war ich in Brüssel. Mit dem Auto ist man in zwei Stunden da. Das Glück für Köln war sicherlich, dass viele Sachen parallel passierten. In der Zeit entstand in Köln eine unglaublich innovative Underground-Techno-Szene, Anfang der 90er wird der „Sound of Cologne“ von Kölner Künstlern wie Michael Meyer, Jürgen Paape, Reinhard und Wolfgang Voigt und Jörg Burger zum globalen Techno-Trend. Gleichzeitig steigt die SPEX unter Chefredakteur Diedrich Diederichsen zum zentralen Popmedium der Bundesrepublik auf.

Eine Gruppe von Personen in lockerer Haltung, in einem Büro vor einem Schreibtisch.
Die SPEX-Redaktion von 1984. Viele Autorinnen waren keine klassischen Journalistinnen. Sie nahmen sich die Freiheit, mit einer halsbrecherischen Nonchalance über Musik zu schreiben, die es bis dahin in bundesdeutschen Feuilletons nicht gegeben hatte. Foto: Wolfgang Burat

Die SPEX startete als Spaßprojekt in einer Hinterhofgarage im Belgischen Viertel. Die Texter*innen revolutionierten mit ihrem Stil die Art und Weise, wie heute in den Feuilletons über Pop und Gegenwartskultur geschrieben wird. Die Referenz in den Anfangstagen war Punk. Herr Schwering, Sie waren 1980 auf einem legendären Joy Division-Konzert in Keller der evangelischen Christuskirche live dabei …

SCHWERING: Das war ein Punkkonzert im besten Sinne. Wobei man Joy Division heute zum Post-Punk zählt. Damals waren sie noch eine von vielen Punkbands, die in Köln spielten. Der Gig fand in der Krypta statt. Es war heiß, es war eng und eine Bühne gab es nicht. Sie spielten „No Love Lost“ und Songs wie „Isolation“ und „Love Will Tear Us Apart“. Letztere aber als Punkversionen. Danach wusste ich, wir hatten eine Band gesehen, die anders war als alle anderen. Das Konzert musste abgebrochen werden, weil Sänger Ian Curtis einen epileptischen Anfall erlitt.

Verschiedene Szenen waren damals in denselben Kneipen unterwegs: Punks, Skins, Rocker, Künstler. Alle hingen in Bars wie dem Sixpack oder dem Blue Shell ab.

SCHWERING: Ja, das war wirklich so. Im Sixpack konnte man einfach jeden treffen. Ich war damals oft dort und bin auch mit Leuten aneinandergeraten, Schlägereien gab es immer wieder. Aber man konnte trotzdem mit jedem reden. Selbst mit den Skins, zumindest mit denen, die damals noch nicht eindeutig rechtsradikal waren.

Kippenberger, Diederichsen, Ralf Niemczyk, Peter Bömmels, Marcel Beyer: Man bekommt beim Lesen den Eindruck, die halbe damalige Kulturelite stand in Köln an den Tresen.

SCHWERING: Die fingen ja alle erst an. Kippenberger war drauf und dran, berühmt zu werden, und hatte diese nette Art, einen einfach zuzulabern, Diederichsen stand oft im Sixpack an der Bar und man nickte sich zu. Wenn es sich ergab, sprach man kurz ein Wort. Klar wusste ich, wer das ist, aber das spielte keine Rolle. Mit Marcel Beyer habe ich mich gern unterhalten, ihn kannte ich aus der Kölner Autorenwerkstatt. Damals zog er mit seinem dadaistischen Projekt „Postmodern Talking“ durch Köln, heute ist er einer der bekanntesten Schriftsteller Deutschlands.

Künstler in einem Atelier vor einem großformatigen abstrakten Gemälde, umgeben von Malutensilien und kreativer Unordnung.
Der Maler Peter Bömmels im Atelier der Mülheimer Freiheit, 1982. Foto: Wolfgang Burat

Haben die Szenen parallel existiert oder gab es da Überschneidungen?

SCHWERING: Tatsächlich gab es damals eine große Vermischung. Die ehemalige Schokoladenfabrik Stollwerck in der Südstadt war von 1980 bis 1987 ein kultureller Brennpunkt der Kölner Subkultur. Im oberen Stockwerk probte CAN-Schlagzeuger Jaki Liebezeit mit seiner Band Dunkelziffer und Hellmut Zerlett mit Unknown Cases. Unten gab es einen Punk-/New-Wave- Keller. Dort lernten sich Jörg Burger und Wolfgang Voigt Anfang der 1980er kennen, weil ihre Proberäume nebeneinanderlagen. Die beiden gehörten später zu den Gründern des Kompakt-Labels. Man kann nicht nur sagen, dass sich die Szenen mischten, sondern auch, dass aus dieser Mischung etwas Neues entstand, nämlich der Techno-Sound of Cologne. Kompakt ist auch ein Produkt dieser Kulturfabrik-Stollwerck-Szene.

Köln ist Techno-Mekka, das von hier in die ganze Welt ausgestrahlt hat.

Gregor Schwering

Sie haben sich kritisch mit der Szene auseinandergesetzt …

FUNCK: Etwas, das gerne unerwähnt bleibt, ist der Sexismus, den es damals gegeben hat. Leserbriefe wurden in der SPEX unkommentiert abgedruckt, selbst wenn Redakteurinnen – und es gab in der SPEX nur sehr wenige – darin auf das Übelste beschimpft wurden. Man muss ganz klar sagen, dass es damals in der Szene eine Frauenfeindlichkeit gab, die man heute so nicht mehr dulden würde.

Der Buchtitel „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ ist ein bisschen tiefgestapelt, wenn man die Akteure trifft, die Köln als Hotspot der internationalen Kunstszene auf die Weltkarte gesetzt haben. Wie kam dieser Titel zustande?

FUNCK: Das ist ein Zitat, das uns der Künstler der Gruppe Mühlheimer Freiheit und SPEX-Mitgründer Peter Bömmels gegeben hat. Ursprünglich stammt es vom linken F.A.Z.-Kunstkritiker Peter Iden, der über die heftige Malerei der Gruppe schrieb. Der Mülheimer Freiheit ging es nicht um künstlerische Virtuosität, sondern um die anarchische Energie von Punk, um Do-it-yourself und Dilettantismus. Das Nichtskönnen war da im Grunde eine Auszeichnung. So haben Bömmels und Co. es auch verstanden.

Fünf junge Männer zu Zeit der Cool Colonia in entspannter Pose, stehend in einem hellen Treppenhaus, teils mit Getränken und legerer Kleidung.
Die Delirium/ Kompakt-Crew, die den Techno-Sound weltweit revolutionierte. Foto: KOMPAKT

SCHWERING: Das war 1980, und diese Zeit markiert eine Zäsur. Punk lag in der Luft und tatsächlich sind alle Leute, die wir für das Buch interviewt haben, davon beeinflusst, also nicht nur die Künstler der Mühlheimer Freiheit, sondern auch die Leute, die später mit dem Kompakt- Label den Techno mitgeprägt haben, und natürlich die Autoren des Magazins SPEX. Das waren zu Beginn keine klassischen Journalisten, sondern Leute, die einfach losgelegt haben.

Was bleibt von dieser Zeit?

FUNCK: Ich glaube, dass es zwei Faktoren sind, die damals wesentlich waren und es heute immer noch sind. Erstens: Fußläufigkeit ist ein zentrales Kriterium. Man trifft sich immer wieder. Die Boheme braucht eine gewisse Kuscheligkeit, die gibt es bis heute. Zum anderen haben wir in Köln eine Toleranz für Erfolglosigkeit, für Leute, die spinnerter sind als andere, für Träumer.

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