Paste-up eines Mädchen auf einer grünen Säule. Im Hintergrund der Kölner Dom im Sonnenuntergang.
Wer genau hinschaut, entdeckt die Paste-Ups von SeiLeise überall in der Stadt. Foto: SeiLeise

SeiLeise im Interview: „Street Art ist ein Schatten der Stadt“

Tim Ossege, besser bekannt unter seinem Künstlernamen SeiLeise, gehört zu den bekanntesten Street Art-Künstlern in Köln. Seine filigranen Motive sind in der ganzen Stadt zu finden und beschäftigen sich mit dem aktuellen politischen Geschehen – oftmals aus einer kindlichen Perspektive. Im Interview erzählt SeiLeise von seinen Graffiti-Anfängen, von Köln als Street Art-Stadt und wie er als Künstler seinen Lebensunterhalt verdient.

Beginnen wir ganz am Anfang: Weißt du noch, wann und wo du dein erstes Street Art-Werk gemalt hast? 

SeiLeise: Puh, das ist ganz schön lange her. Ich bin jetzt fast 40. Angefangen habe ich aber schon mit 16 Jahren. Ich bin in Köln-Mühlheim aufgewachsen. Hier habe ich als Teenager gemeinsam mit meinem besten Freund erste Graffitis gesprüht und viel Hip-Hop-Musik gehört. Dieser ganze Street-Art Lifestyle hat mich damals ziemlich begeistert. Irgendwann habe ich eine Ausbildung als Grafiker absolviert, die mir allerdings meine ganze Kreativität genommen hat. Privat hatte ich zu dem Zeitpunkt einfach keine Lust weiter Kunst zu machen.

Mit Mitte Zwanzig habe ich dann zum Glück noch mal einen Zugang zu Street Art gefunden und bin beim Reverse-Graffiti gelandet: Das ist eine sehr feine und spezielle Technik, bei der man mit einem Sandstrahler Flächen partiell reinigt, sodass dann Bilder entstehen. Damit habe ich angefangen, kleinen Männchen zu sprühen, die quer durch die ganze Stadt laufen. 

Paste-Up eines Mädchen mit FCK War Tshirt

In welches Straßenkunstgenre ordnest du dich heute ein? 

Seit ein paar Jahren arbeite ich vermehrt mit farbenfrohen Paste-Ups, die hier in meiner Werkstatt auf Papier entstehen und dann im Stadtraum angeklebt werden. Mich hat schon immer die Idee fasziniert, den öffentlichen Raum mitzugestalten. Die Möglichkeit, sich gegen das Grau der Stadt und gegen die Übermacht der Werbung zu stellen.

Viele Künstler spielen mit diesem Crime-Charakter, den Street Art mit sich bringt.

SeiLeise

Warum nennst du dich SeiLeise? 

Das ist ein Überbleibsel aus meiner Graffiti-Zeit. Ich versuche, leise und unsichtbar in der Stadt unterwegs zu sein und mag es nicht, wenn ich Zuschauer habe. Street Art ist eben auch ein Schatten der Stadt. Ich bewege mich als Künstler in einer Grauzone zwischen illegal und egal.

Trotzdem hast du dich dagegen entschieden, anonym zu bleiben. 

Viele Künstler, die sich anonymisieren, spielen mit diesem Crime-Charakter, den die Street Art mit sich bringt. Das ist aber auch viel Imagepflege – oft ist die Kunst im urbanen Raum weniger kriminell als sie tut. Ich arbeite zwar unter dem Künstlernamen SeiLeise, aber ich habe trotzdem keine Lust anonym zu bleiben. Mir ist es wichtig, so verantwortungsbewusst wie möglich zu arbeiten. Mir würde es nicht einfallen, mich an Denkmälern zu verewigen oder an einer frisch gestrichen Hauswand. Da fühlt sich das, was ich mache, ohnehin nicht wohl. Ich suche schon ganz bewusst die vernachlässigten und schmutzigen Ecken dieser Stadt. Davon gibt es in Köln viele.

Street Art von Sei Leise neben einem Stromkasten. Im Hintergrund der Kölner Dom
Mit Paste-Ups, in der Vergangenheit auch mittels Reverse-Graffiti, bringt SeiLeise etwas Farbe ins graue Köln. Foto: SeiLeise

Bleiben wir bei Köln. Du kommst aus der Domstadt und lebst nach wie vor hier. Wie wichtig ist die Stadt für deine Arbeit?

Man sagt den Kölnern gerne nach, dass sie sehr heimatbezogen sind. Und ich glaub, jeder Kölner kennt das: Wenn man länger weg gewesen ist, schaut man schon noch mal, ob der Dom noch steht (lacht).

Die Kunst ermöglicht mir auch, andere Städte zu erkunden. Aber wenn ich wieder zurück nach Köln komme, fallen mir die negativen Dinge auf. Das Graue und Dreckige. Trotzdem hängt mein Herz an Köln.

Street Art ist immer noch eine Kunstform, die sich rebellisch gegen das Establishment wendet.

SeiLeise

Was meinst du mit negativen Dingen? Was stört dich an der Stadt?

Es liegt in der Natur der Sache, dass ich mich mehr mit den negativen Dingen der Stadt beschäftige als mit den positiven: In Köln ist zum Beispiel das Erzbistum und der Umgang damit ein großes, schweres Thema. Daher ist die katholische Kirche in meinen Arbeiten immer wieder vertreten. Ich habe beispielsweise die Rückkehr von Kardinal Woelki künstlerisch aufgearbeitet, in dem ich Woelki als Star Wars-Imperator unter einer dunklen Kutte gestaltet habe, der zwischen zwei Soldaten der Imperialen Ehrengarde zurückkehrt. Das ist zu der Zeit entstanden, als er abberufen und wenige Monate später still und heimlich wieder eingesetzt wurde. 

Woelki-Graffiti von SeiLeise
SeiLeise kommentiert mit seinen Bildern gerne das aktuelle Zeitgeschehen; teils spielerisch, teils mit explizit sozialkritischem Bezug. Foto: SeiLeise

Du kommentierst in deinen Arbeiten also das aktuelle Zeitgeschehen? 

Street Art ist eine Kunstform, die sich rebellisch gegen das Establishment wendet. Das ist mir wichtig. Ob nun Journalisten oder Künstler: Es muss immer so eine Art Korrektiv geben, das kommentiert, was in der Welt passiert. Natürlich will ich nicht mit erhobenem Zeigefinger unterwegs sein. Jeder kann eine andere Antwort auf Dinge haben als ich. Es reicht, wenn ich ein paar Menschen für bestimmte Themen sensibilisieren kann. 

Wie ist es als Street Art-Künstler in Köln zu leben? Wie verdient man da sein Geld?

In meiner Wahrnehmung gibt es hier – wie auch in anderen Städten – immer ein Ringen zwischen der Stadt und der Street Art-Szene: Die einen holen sich den Raum, die anderen versuchen ihn wieder zu reinigen. Als Künstler lebt man zwischen diesen beiden Extremen: Auf der einen Seite will man die Intervention im öffentlichen Raum, das heißt, man prangert soziale Probleme an und hinterfragt das System. Auf der anderen Seite bin ich als Künstler eben auch Teil des Systems: Wenn ich Geld verdienen will, muss ich auch den Kunstmarkt bedienen, der vom Kapital beherrscht wird. 

Street Art von SeiLeise
Seit der Pandemie organisiert SeiLeise eine Street Art-Bildersuche, die hilft, den Blick für Kunst im öffentlichen Raum zu schärfen. Foto: SeiLeise

Das heißt, du verkaufst deine Werke auch?

Ja, seit zwei Jahren habe ich eine eigene Galerie hier in Mühlheim, in der ich einige meiner Werke verkaufe. Außerdem arbeite ich mit Galerien in Hamburg, Düsseldorf und südlich von Paris zusammen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Kunst, die man hier erwerben kann, wird aber klar getrennt von der Kunst, die auf der Straße zu sehen ist: Die Werke, die in der Galerie sind, sind keine Street Art und das was auf der Straße ist, verkaufe ich nicht.

In welchen Veedeln kann man deine Street Art bestaunen?

Meine Bilder sind in der ganzen Stadt verteilt, weil ich es für wichtig halte, dass man Kunst in andere Stadtteile und sogar in andere Städte trägt. Es ist schön, wenn Leute extra irgendwohin fahren, um Streetart zu sehen. Aber in der Regel ist es so, dass man Kunst zu den Leuten bringen muss. 

Hier in Mühlheim habe ich während der Pandemie angefangen, eine Street Art-Bildersuche zu gestalten. Zwischen Deutzer Werft und Stammheimer Skulpturenpark habe ich Bilder versteckt, die man mit Hilfe einer Karte finden konnte. Das Feedback war super: Viele Kölner haben erst dank dieser Karte die Street Art in ihrem Veedel richtig wahrgenommen. Seitdem versuche ich, diese Bildersuche weiter auszubauen. 

Tim Ossege alias SeiLeise ist als Street-Art-Künstler nicht nur in Köln unterwegs. Foto: SeiLeise

SeiLeise Showroom, Wallstraße 125, 51063 Köln. Öffnungszeiten: freitags von 14 − 18 Uhr

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