Dr. Mertcan Usluer aka Gynaekollege: Grimme-Preisträger, Kölner im Herzen, Aufklärer im Feed. Foto: Marina Weigl

Gynaekollege: „Köln ist eine Stadt, die nie perfekt sein will, aber dafür echt ist“

Medizin, die knallt: „Gynaekollege“ räumt Mythen ab, erklärt komplexe Themen und macht Haltung zur Hauptsache. Der mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Kölner zeigt, wie Aufklärung heute geht – smart, politisch, unterhaltsam. Wir haben ihn getroffen.

Gynaekollege“ ist aus Frust geboren und zur Bewegung geworden: ein Instagram-Kanal, der gynäkologische und queerfeministische Themen evidenzbasiert, pointiert und für alle zugänglich macht. Dafür gab’s gerade den Grimme Online Award – und den Rückenwind, Debatten dorthin zu tragen, wo es weh tut: in Medizin, Medien und Politik. Verwurzelt in Köln, zwischen rheinischer Direktheit und echtem Community-Spirit, verbindet Mertcan Usluer Klinikalltag mit Content, der wachrüttelt. Ein Gespräch über Haltung, Reichweite und Köln.

Wie ist die Idee zu „Gynaekollege“ entstanden?

Eigentlich aus Frust. Ich habe gemerkt, dass Menschen im Internet mehr über ihren Körper lernen als in der Arztpraxis – nur leider oft falsche Dinge. Ich wollte diesen Raum zurückerobern. Aus einem Insta-Account wurde eine Bewegung. Ich wollte zeigen: Medizin kann politisch, lustig und menschlich zugleich sein.

Dein Kanal macht auf strukturelle Probleme im Gesundheitssystem aufmerksam, klärt über gynäkologische und queerfeministische Themen auf und übt Sexismuskritik. Wie setzt du das redaktionell um – vom Thema bis zum Posting?

Ich arbeite wie eine kleine Redaktion – Recherche, Storyline, Skript, Kamera, Moderation, Schnitt und Marketing. Klingt erstmal krass, aber meist fängt es mit einer kleinen Idee an. Die Inspiration kann von einem TikTok, einem Kommentar, einer Schlagzeile oder politischen Geschehnissen kommen. Erst kommt das Thema, dann der gesellschaftliche Kontext, dann die Punchline und eine Art „Wachrütteln“. Ich frag mich immer: Wie fühlt sich das für Betroffene an? Und: Wie kann ich’s so erklären, dass Nichtbetroffene, Nichtakademiker und Fremdsprachler sagen: „Aha, jetzt check ich’s.“

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Spürst du in Köln besondere Offenheit für deine Themen – oder auch Widerstände? Woran machst du das fest?

Köln ist im Herzen offen, aber auch hier gibt’s Grenzen. Über Gewalt im Kreißsaal, niedrigere Lebenserwartung rechtsrheinisch oder Queerfeindlichkeit und Rassismus wollen viele nicht reden. Weil es unbequem ist und es sie oft nicht selbst betrifft. Ich liebe Köln, es ist aber kein perfekt inklusives Wunderland. Köln hört aber wenigstens zu. Und das ist mehr, als ich von manchen anderen Städten sagen kann.

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Viele kennen dich als Kölner von Instagram, du bist aber auch als Arzt tätig: Wie bringst du beides unter einen Hut?

Gar nicht. Ich versuche gerade auch aufzuhören, so zu tun, als ginge das perfekt. Ich bin Arzt mit Depressionen und Burnout-Tendenz. Ich bin Journalist mit lähmendem Weltschmerz und ich bin Content-Creator dessen Therapie für Selbstzweifel, externe Validierung ist. Aber ich liebe trotzdem was ich mache und alle meine Jobs gehören zusammen: Der Klinikalltag zeigt mir, warum Aufklärung so wichtig ist – und Social Media erinnert mich daran, für wen ich das alles überhaupt mache. 

Wie gehst du mit Hate, Mythen und Desinformation um?

Mit stichfester Wissenschaft, Humor und Direktheit. Wenn dann doch Kritik und abweichende Meinungen kommen, filtere ich das in drei Kategorien: hilfreich, haltlos, hasserfüllt. Nur die erste darf bleiben. Ich glaube aber das Wichtigste ist nicht in jedes Kommentarfeuer zu springen.

Die Auszeichnung zeigt: Aufklärung darf laut, bunt und sauer sein, und muss nicht von großen Redaktionen kommen.

Du hast für deinen Instagram-Kanal „Gynaekollege“ den Grimme Online Award erhalten. Was ging dir durch den Kopf, als du von der Auszeichnung erfahren hast?

Ich habe mir das gewünscht, aber konnte es dann trotzdem kaum fassen. Noch vor zweieinhalb Jahren habe ich die Idee für ein medizinisches Aufklärungsprojekt skizziert, ohne zu wissen was daraus werden könnte – jetzt steht da „Grimme-Preisträger“. Das war surreal, aber auch schön, weil es zeigt: Aufklärung darf laut, bunt und sauer sein, und muss nicht von großen Redaktionen kommen.

Gynaekollege macht Medizin laut – direkt aus Köln für alle, die’s wissen wollen. Foto: Marina Weigl

Was bedeutet die Auszeichnung für deine Arbeit – Rückenwind, mehr Reichweite, neue Verantwortung?

Alles drei. Ich spür Rückenwind, aber auch mehr Verantwortung, weil jetzt noch mehr Menschen zuhören – vor allem auch welche, die etwas bewegen können. Privilegierte Spaces und elitäre Einrichtungen, Politik und Medien werden durch die Auszeichnung auf mich aufmerksam, und das möchte ich nutzen. Ich möchte diesen Preis nicht als Krone tragen, sondern als Kompass verwenden, um weiter dorthin zu zeigen, wo’s wehtut – Rassismus, Sexismus, Klassismus im Gesundheitssystem – und dafür sorgen, dass sich was ändert.

Dieses Jahr gab es rund um den Grimme Online Award viel Debatte. Wie hast du die Preisverleihung und die Diskussionen erlebt – und was nimmst du daraus mit?

Ich habe sie als angespannt, manchmal schmerzhaft, aber notwendig erlebt. Wenn ein Preis für Haltung vergeben wird, muss man auch aushalten, dass Haltungen diskutiert werden.

Ich nehme mit: Wir brauchen Räume, in denen Kritik kein Angriff ist, sondern ein Zeichen von Lebendigkeit. Ich habe mich gefreut meine Dankesrede mit „Niemand ist frei bis wir alle frei sind“ zu untermauern.

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Welche Themen willst du als Nächstes angehen – medizinisch, gesellschaftlich, politisch? Ich arbeite an einem großen Projekt zu Endometriose und an meinem eigenen Buch über Ungerechtigkeit in der Medizin. Langfristig will ich multimedial und auf verschiedenen Plattformen die Frage stellen: Wie sieht ein Gesundheitssystem aus, das wirklich für alle sorgt?

Köln war die erste Stadt, in der ich mich nicht komplett fremd gefühlt habe, obwohl ich’s war.

Gibt es ein Wunschprojekt in Köln, das du unbedingt realisieren willst?

Ja: Ein Aufklärungsfestival – eine Mischung aus Wissenschaft, Musik und Gesellschaftskritik. Ein Ort, wo man über Sexismus lacht, aber auch lernt. Vielleicht am Tanzbrunnen oder auf den Poller Wiesen. Köln könnte das – weil diese Stadt immer schon ein bisschen Herz vor Hirn war.

Was bedeutet dir Köln persönlich?

Köln ist für mich Chaos mit Charakter. Eine Stadt, die nie perfekt sein will, aber dafür echt ist. Hier darf man laut lachen, laut lieben und laut leben. Köln war die erste Stadt, in der ich mich nicht komplett fremd gefühlt habe, obwohl ich’s war.

In welchem Veedel fühlst du dich zuhause?

Im Belgischen, aber nur weil ich meist zu faul bin weit zu fahren. Hier ist fast alles, was ich brauche, und es lebt von Widersprüchen. Ich mag, dass hier ein arabischer Imbiss neben einem queeren Buchladen steht. Das ist Köln für mich – unperfekte Inklusion. Mehr Grünflächen fänd ich aber absolut toll.

Wie sehr fließen rheinische Direktheit und Humor in deine Aufklärungsarbeit ein?

Daran habe ich bisher noch nie gedacht, aber ich glaube, man kann Menschen besser erreichen, wenn man sie zum Lachen bringt, bevor man sie zum Nachdenken bringt. Diese Mischung ist sehr kölsch finde ich.

... interessiert sich für Literatur, Kultur & richtig gutes Essen. Wenn in der Stadt eine neue hippe Weinbar oder ein Pop-up-Store eröffnet wird, ist sie dabei. Und bei queeren Events kennt sie alle mit Namen.

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