Wer heute an Köln Mülheim denkt, hat sicherlich keine idyllischen Mühlen an einem Bächlein vor Augen. Doch tatsächlich hat der Name des Stadtbezirks mit den Mühlen zu tun, die noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts an dem im Bergischen entspringenden Strunder Bach klapperten. Nun ist Bezirk nicht gleich Stadtteil und da kommt man der Sache – und dem Rhein – schon näher: Mülheim ist einer von neun Stadtteilen des gleichnamigen Stadtbezirks auf der rechten Flussseite.
Auf ein Kioskkölsch mit dem heiligen Nepomuk
Rechtsrheinisch gleich Logenblick? Richtig kombiniert: Am „Mülheimer Mäuerchen“, auf Kölsch: Müllemer Mäuerchen, gleich neben der St.-Clemens-Kirche schaut man gemeinsam mit dem heiligen Nepomuk, Schutzheiliger der Brücken, auf den Fluss, die Mülheimer Brücke und die Domspitzen in der Ferne. Rund um das Gotteshaus, dessen Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichen, zeigt sich das Veedel von seiner beschaulichen Seite – hier sitzt man entspannt mit Kaffee oder Kioskkölsch am Flussufer oder kehrt gemütlich in Nachbarschaftsperlen wie den Cafés Café Jakubowski oder Café Vreiheit ein.
Doch nicht nur am Mülheimer Rheinufer flaniert es sich für den immerhin bevölkerungsreichsten Stadtteil Kölns überraschend idyllisch; weiter südlich gelangt man zum Mülheimer Hafen, wo sich maritimes Flair vor dem Hintergrund der alten Werkshallen von Klöckner-Humboldt-Deutz, kurz KHD, mit Lost-Places-Atmosphäre verbindet. Um die Zukunft des heute Otto-Langen-Quartier genannten Areals wurde (und wird) viel gestritten. Nun scheint auf absehbare Zeit zumindest die Nutzung der früheren KHD-Hauptverwaltung durch die Kunstinitiative „Raum13“ eingetütet, die hier schon ein Jahrzehnt das „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ betrieb. Man darf gespannt sein, was sich hier weiterentwickeln wird.
Oder soll’s ein wenig lauschiges Grün sein? Dann ist der Mülheimer Stadtgarten beste Wahl. Auf rund 6,5 Hektar Fläche hat der großen Wiesen, Teich, Märchenbrunnen, Tischtennisplatten und Boule-Platz zu bieten – definitiv ein Ort zum Durchatmen. Ebenfalls eine Oase der Ruhe im städtischen Gewimmel ist übrigens der Evangelische Friedhof Mülheim an der Bergisch-Gladbacher-Straße. Seit 1612 wird hier bestattet, und die teils jahrhundertealten Grabmäler sorgen für eine wirklich besondere Stimmung.
Köln Mülheim: Urbanität und jede Menge Vielfalt
Aber natürlich kann Köln Mülheim auch urban – ziemlich gut sogar. Am Wiener Platz kommen alle und alles zusammen: Hauptstraßen, Straßenbahn- und Buslinien und vor allem jede Menge Menschen. Wochenmarkt, Kirmes, ein Gang zum Bezirksrathaus und zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten im Umfeld, hier wuselt es. Der Stadtteil ist bunt, alteingesessene Kölsche, viele Studierende und insbesondere eine große türkische Community sorgen unter anderem für kulturelle Vielfalt: Ein Muss, um türkisches Lebensgefühl zu erleben, ist die Keupstraße. Hier versammeln sich einige hübsche Altbauten, aber vor allem so viele türkische und kurdische Geschäfte und Lokale wie nirgendwo sonst in Köln. Neben Dönerimbissen, Bäckereien mit hübschen Torten und natürlich leckeren Baklava wie bei Kilim, Friseuren und jeder Menge Juweliere, locken hier etliche Restaurants mit authentisch türkischer Küche. Mevlana ist eine gute Anlaufstelle.
Zuwanderung hat in Köln Mülheim Tradition: Vor den türkischen Gastarbeiter*innen in den 1960er-Jahren lockte die schon im 17. Jahrhundert bestehende Religionsfreiheit Menschen protestantischen Glaubens. Im 19. Jahrhundert zog Köln Mülheim als Industriestandort mit seiner Wirtschaftskraft neue Einwohner*innen an. Zu den überregionalen Playern, die hier Fabriken bauten, gehörten die Bleiweißfabrik „Lindgens & Söhne“, das Walzwerk „Böcking & Cie“, die Motorenbauer Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) und das Kabelunternehmen „Felten & Guillaume“. Die Zeiten der qualmenden Fabrikschlote sind vorüber; der Industrieflair ist jedoch geblieben. Die aufgemöbelten Gebäude werden heute von einer bunten Mischung aus Clubs, Medien- und TV-Unternehmen und Kultureinrichtungen neu belebt.
So hat sich auf dem Carlswerk-Gelände das Schauspiel Köln mit drei Bühnen etabliert. Läuft gerade keine Vorstellung kann man das Grün des angeschlossenen Urban-Gardening-Projekts „Carlsgarten“ genießen, sich mit Kuchen oder Herzhaftem im „Offenbach am Carlsgarten“ versorgen oder schräg gegenüber im „Stuntwerk“ sogar die Wände hochgehen. In der lichten Halle mit viel Industriecharme gibt es jede Menge Boulder-Routen. Zudem kann man hier Ninja-Warrior-Training absolvieren, am Vertikaltuch Kunststücke üben oder beim Yoga wieder runterkommen. Einen Katzensprung weiter zieht das Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute ehemalige Elektrizitätswerk die Blicke auf sich: Heute ist es als E-Werk eine der großen Konzertbühnen Kölns, etwas größer ist das Palladium direkt gegenüber. In der Ende des 19. Jahrhunderts erbauten Halle wurden einst Maschinen gefertigt.
Das bessere Berghain steht in Köln Mülheim
Dem gängigen Klischee der aus dem Linksrheinischen gerne belächelten „Schäl Sick“ (rechten Rheinseite), die weniger zu bieten habe, setzt Mülheim mit zwei Topadressen für Nachtschwärmer noch eins obendrauf. Bereits seit 1996 kuratiert das Gebäude 9 eines der besten Indie-Konzertprogramme in ganz Köln – mehrfach wurde der Club dafür ausgezeichnet. Die Kölner*innen wissen, was sie an dieser Location haben: Als der Club vor rund zehn Jahren neuer Bebauung weichen sollte, wogte eine Protestwelle durch die Domstadt. Long story short: Man arrangierte sich und das Gebäude 9 blieb. Und dann wäre da noch das Bootshaus, wo Fans der elektronischen Musik nicht nur die Nächte durchtanzen. Immer wieder rangiert der Club unter den Top Ten der besten Clubs der Welt, laut britischem Fachmagazin „DJ Mag“ – aktuell sogar vor dem Berliner Berghain. Und wenn die Wolken dann wieder lila sind, schließt man den Kreis und begrüßt den neuen Tag mit einem Kaffee vom Büdchen auf dem „Müllemer Mäuerchen“.
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