Für die einen ist Nippes das Prenzlberg von Köln – so viele Kinder! Zu piefig! Gentrifizierung, ick hör dir trapsen – die anderen wissen es längst besser: In Nippes trifft Eisenbahnromantik auf kölsches Dolce Vita, chillt man beim Büdchengetränk auf dem Schillplatz, geht Sterne gucken und mit Robotern tanzen. Willkommen in einem der vielseitigsten Veedel Kölns!
Das Erbe der Industriekultur in Nippes
Zunächst einmal: Nippes fährt namenstechnisch zweigleisig, zum Stadtbezirk Nippes im Kölner Norden gehören ganze sieben Stadtteile, deren größter – man ahnt es – ebenfalls Nippes heißt und um den es sich hier drehen soll. Schon seit 1888 darf sich, wer hier wohnt, Kölner*in nennen. Was man heute kaum noch sieht: Auch in Nippes schrieb man im 19. Jh. Industriegeschichte. Nahe dem Wilhelmplatz stellte Jacob Mayer als Erster in Deutschland Gussstahl her, die Rheinische Eisenbahngesellschaft richtete hier, unter anderem im heutigen Sechzigviertel, einst ihr Eisenbahn-Ausbesserungswerk ein und in den Clouth-Werken wurde Gummi gemacht. Dort wohnt es sich inzwischen schick, die denkmalgeschützten Gebäude wurden zum modernen Wohngebiet samt Gastro, Ateliers und Büros umgebaut. Wer gerade in der Gegend ist, kann im Bistro „Tor 1“ im ehemaligen Pförtnerhaus der Clouth-Werke richtig gut zu Mittag essen (die aktuelle Speisekarte gibts hier).
Mit der Hängematte im Grünen: Nippesser Tälchen
Weiter zurück reichen die Wurzeln des Altenberger Hofs im Norden des Veedels – am Vierkanthof, der seit 30 Jahren das Bürgerzentrum Nippes beheimatet, wähnt man sich mehr auf dem Land als in der Stadt. Einen gehörigen Teil trägt das Nippeser Tälchen gleich nebenan dazu bei, wo man in großen Hängematten schwingend den Blick übers Grün schweifen lassen kann. Nur eine von mehreren grünen Oasen – in Nippes ist man nie wirklich weit vom nächsten Park entfernt. Die bieten Tischtennisplatten, Basketball- und Bolzplatz und sogar eine Skate-Rampe. Kaum blinzelt die Sonne vom Himmel, schlagen in den Grünanlagen türkischstämmige Großfamilien, biodeutsche Studierende, Hipster und Sportfans ihre Picknickdecken auf, liegen Musik und Grillschwaden in der Luft.
Shoppen und geniessen auf der Neusser Straße in Nippes
Gehörig brummt es auch an der Neusser Straße, der Hauptschlagader des Viertels. Hier wogt zum einen der Verkehr, zum anderen seit Jahren die Diskussion, wie die Straße in Zukunft aussehen, man Autos, Radfahrende und Fußgänger*innen möglichst verträglich unter einen Hut bekommen soll. Zwischen Supermarkt- und Drogerie-Ketten, Kaufhaus, Optiker, Handyläden und Poldi-Döner kuscheln sich Schätze wie der kölnweit bekannte Buchladen Neusser Straße der regionale Gemüse- und Obsthandel „Böhmer’s“, orientalische Leckerbissen von Marhaba und Patisserie-Kunst von Törtchen Törtchen neben süße Cafés wie Wohnraum und kölsche Gasthauskultur im „Em Golde Kappes“.
Ateliers und Manufakturen in den Nebenstraßen
Lässt man sich erst ins Gewirr der Nebenstraßen treiben, stößt man nicht nur auf Altbauten und Gründerzeitfassaden, sondern auch auf kleine unabhängige Läden und Boutiquen, Ateliers und Werkstätten: zum Beispiel Pflanzen und Deko bei Mooii, Mode bei „Frau Schulze“, Geschenke bei „Nipps49“ oder flüssige Schätze bei „Kleefisch“.
Flohmarkt Wilhelmplatz: Stadtbekannte Trödellegende
Zum Mekka aller Stöberfans wird jedoch an ausgewählten Sonntagen der Wilhelmplatz: Der hiesige Flohmarkt ist stadtbekannt. Reihe um Reihe flaniert man an Ständen entlang, die von Raritäten vom Dachboden der Urgroßeltern bis zum profanen Küchensieb so gut wie alles feilbieten. Was es nicht gibt: Neuware. Die wird dafür werktags auf dem großen Lebensmittelmarkt angeboten.
Der „Kaffeekiosk“ versorgt derweil mit leckerem Kaffe und den legendären Marktstullen. Genug gekramt? Dann auf zum Schillplatz – vor allem im Sommer der place to be im Veedel. Man lässt sich zum Beispiel an Tischen der Weinstube „Morio“, zu recht eine Institution in Nippes, oder auf Bänkchen nieder, während drumherum Kinder das Pflaster mit Kreide verschönern.
Blick in die Sterne: Das Planetarium
Wie überall in Köln gibt es auch in Köln Nippes Bunker. Hinter den dicken Türen im Keller des Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums östlich der Neusser Straße wartet jedoch etwas Einzigartiges in Köln: ein Planetarium. Die Kuppeln auf dem Dach des Gebäudes bergen zwei Sternwarten. Faszinierend ist nicht nur die Welt der Himmelskörper, die es hier zu entdecken gibt, sondern auch mit wie viel Herzblut diese Anlage hier in den 1960er-Jahren von Physikstudierenden geschaffen und bis heute von Ehrenamtlichen betreut wird.
Subversion meets Style: Das Odonien
Von höchsten Mächten abgesegnet führt die Lutherkirche im Sechzigviertel ein Doppelleben als Veranstaltungsort vielfältiger Kultur-Events: Wo sonst Gottesdienste zelebriert werden, lesen in der „Kulturkirche“ Literaturstars bei der „lit.COLOGNE“, spielten Indiegrößen wie „Die Sterne“ und treten regelmäßig Lokalhelden wie Brings auf.
Mit Auftritten der anderen Art lockt das Odonien. Zugegeben, hier steht man mit einem Bein schon in Neuehrenfeld, aber dieser Ort passt ohnehin in keine Schublade. Ins Leben gerufen vom Künstler Odo Rumpf als eine Art Freiluftatelier, flanieren Gäste im selbst ernannten „Freistaat für Kunst und Kultur“ zwischen großformatigen Kunstwerken aus ausrangierten Industrieteilen, genießen im Biergarten Livemusik und tanzen zu Techno bei Partynächten. Ein Highlight ist definitiv das schräge Festival „Robodonien“, wenn die Bühne kuriosen Robotern gehört.
Verschlägt es einem im Sommer in diese Ecke von Köln Nippes, sollte man unbedingt dem Clubheim Olympia einen Besuch abstatten. Wer würde hier im „Gleisdreieck“ ein solch grünes Idyll erwarten? Zum einen: Was die Küche auftischt, ist in puncto Auswahl und Qualität in einem Vereinsheim alles andere als gesetzt. Zum anderen: Auf der Außenterrasse sitzt es sich einfach herrlich. Unten flitzen die Tennisbälle übers Netz, oben guckt man auf die S-Bahnen, die durch die grünen Baumkronen zu schweben scheinen. So kann der Abend in Nippes doch gemütlich mit der genau richtigen Prise Großstadtflair ausklingen.
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