Heinrich Böll: Den Dom fand er zu protzig
„Meine Erinnerung an die Straßen meiner Kindheit, Teutoburger Straße, wo ich geboren bin, und Karolingerring, Ubierring, dieses Südstadt-Viertel, wird immer kälter“, notierte einst der Kölner Schriftsteller Heinrich Böll.
Für den Literaturnobelpreisträger existierten „mehrere Kölns“, wie sein Sohn René Böll vor einigen Jahren in einem Interview zu Protokoll gab. Das Vorkriegsköln, in dem der 1917 geborene Autor seine Kindheit und Jugend verbrachte, assoziierte Heinrich Böll mit einer unbeschwerten Zeit. Kurz nach der Beendigung seiner Lehre als Buchhändler schrieb er erster Linie Briefe. Erst in der Nachkriegszeit nahm er an Kurzgeschichten-Wettbewerben teil. Er schildert darin die Zerstörung seiner Heimatstadt, den Hunger oder wie in „Der Mann mit den Messern“ (1948), was der Krieg aus den Menschen macht.
Die kritische und schonungslose Auseinandersetzung mit der Bigotterie der jungen Bundesrepublik in Romanen wie „Ansichten eines Clowns“ (1963) ließen Böll zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegszeit avancieren.
Sein Verhältnis zu Kölner Architektur blieb ambivalent – ebenso wie zu den Wahrzeichen der Stadt. Böll sprach von der „Melancholie des Rheins“. Der Dom wiederum schien dem Katholiken – wie er sich 1981 in der autobiografischen Erzählung „Was soll bloß aus dem Jungen werden?“ beschrieb – viel zu protzig. Heinrich Böll starb 1985 nach einer Operation in seinem Haus in Langenbroich.
Hilde Domin: Eine spanische Lyrikerin deutscher Sprache
Die 1909 in Köln geborene Autorin legte in ihrer Heimatstadt das Abitur ab und studierte hier sowie in Bonn und Heidelberg Jura, Philosophie und politische Wissenschaften. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte dazu, dass die Sozialdemokratin mit jüdischen Wurzeln ins Exil ging – nach Italien, Großbritannien und schließlich in die Dominikanische Republik. Retrospektiv sagte Dira Löwenstein, so der bürgerliche Name der Autorin, dass sie nach dem Tod der Mutter 1951 das Schreiben vor dem Suizid rettete.
Zwar kehrte Domin 1954 nach Deutschland zurück, pendelte aber weiterhin zwischen der alten Heimat und Spanien. Sie betrachtet sich als spanische Lyrikerin deutscher Sprache, deren Verfolgungs- und Exilerfahrungen traumatisierend wirkten. Resignation war ihr als Künstlerin jedoch fremd: „Ein Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den, er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“
Hilde Domin starb im Alter von 96 Jahren 2005 in Heidelberg.
Jürgen Becker: Ein Verfasser experimenteller Literatur
Von Stereotypen halte er wenig, sagte Jürgen Becker in diesem Sommer anlässlich der 1.000-seitigen Veröffentlichung seiner gesammelten Gedichte im Suhrkamp-Verlag. So sei er weder der frohsinnige Rheinländer noch ein reiner Melancholiker.
Seine Stimmung hänge vom Wetter ab, betonte der Georg-Büchner-Preisträger lakonisch. Dass er im Sommer geboren ist, sei von Vorteil gewesen. Schließlich feiert er am gleichen Tag Geburtstag wie einst Marcel Proust (1871-1922), wie Becker kürzlich augenzwinkernd anmerkte.
Zehn Jahre nach Prousts Tod kam Becker in Köln zur Welt, wo er bis auf eine kurze Unterbrechung von 1939 bis 1950 noch immer lebt. 1960 stieß er zur Gruppe 47 und begann, eine stark experimentelle Formsprache zu entwickeln. Neben seiner Generationen von Lyrikern prägenden Poesie wirkte er unter anderem als Leiter des Suhrkamp-Verlags sowie als Leiter der Hörspielabteilung im Deutschlandfunk.
Volker Kutscher: Kein Berliner, sondern Kölner Schriftsteller
Vor wenigen Tagen erschien mit „Transatlantik“ der neunte Band aus der Reihe um Gereon Rath. Parallel dazu strahlt der TV-Sender Sky die 4. Staffel der darauf basierenden Serie „Babylon Berlin“ aus. Die packenden Thriller spielen im Berlin der Weimarer Republik sowie in der Zeit nach der Machtergreifung des nationalsozialistischen Regimes.
Volker Kutschers präzise Beschreibungen der Berliner Kieze und des Kulturlebens legen die Vermutung nahe, dass der Autor in der Spreemetropole beheimatet ist. Mitnichten. Kutscher ist Kölner, hat hier unter anderem Germanistik und Geschichte studiert. Seinen Romanen geht eine akribische Recherche voraus, die letztlich seine Literatur so lebendig und überzeugend macht. Dass Gereon Rath ebenfalls Rheinländer ist, stellt übrigens die einzige Parallele zwischen Autor und Figur dar.
Melanie Raabe: Die Spannungsautorin ist Wahlkölnerin
„Ich schreibe Bücher und Bücher schreiben mich“, bekennt die 41-jährige Autorin und Podcast-Moderatorin – „Raabe und Kampf“ – Melanie Raabe. Dafür hat sie sich mit dem Belgischen Viertel in Köln ein inspirierendes Viertel ausgesucht. Bereits vor dem Erscheinen ihres Debütromans „Die Falle“ (2015) kauften Literaturagenten die Rechte für Übersetzungen unter anderem ins Spanische, Französische und Italienische.
Melanie Raabe umschifft in ihren packenden Thrillern die Untiefen gängiger Klischees und überzeugt mit der facettenreichen Figurenzeichnung ihrer Protagonistinnen. Dies gilt auch für ihr erstes Sachbuch, in dem sie das Pop-Phänomen „Lady Gaga“ erläutet. Melanie Raabes neuster Roman liest sich wie ein Thriller, ist aber keiner. Er erschien im Oktober 2022 und heißt „Die Kunst des Verschwindens“.
Sabine Schiffner: Melange aus Alltagssprache und Poesie
Wahrscheinlich gibt es keine Formel, die besagt, welche Expertise als Lyrikerin benötigt wird. Sabine Schiffner studierte Theaterwissenschaften in Köln, wo sie zwischen 1992 und 1996 am Schauspielhaus auf der Bühne stand. Später assistierte sie Regie-Schwergewichten wie Werner Schroeter und Günter Krämer und inszenierte schließlich selbst.
Parallel veröffentlichte sie Mitte der 1990er-Jahre mit „besteck im kopf“ ihren ersten Gedichtband. Längst stellt sie eine der profiliertesten Lyrikerinnen Kölns dar, deren neuer Band „wundern“ kürzlich erschien. Charakteristisch für ihren Stil darin ist die Montage aus Alltagssprache und hochpoetischen Bildern.
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