In den letzten vier Jahrzehnten hat Michael Mayer viele Dinge getan: international als DJ Karriere gemacht, das stilprägende Plattenlabel Kompakt Records mitgegründet und einen stetigen Strom von Singles und Alben produziert, sowohl solo als auch in Zusammenarbeit mit internationalen Größen der elektronischen Musik. Mayer wurde 1971 im Schwarzwald geboren und wuchs dort auf, lebt und arbeitet seit 1993 in Köln. Dort steht er heute immer noch im labeleigenen Kompakt Plattenladen hinterm Tresen. Wir haben ihn dort zum Gespräch getroffen.
Lieber Michael, hast du so eine Standardgeschichte, die Du immer über Kompakt Records erzählst?
MAYER: Ja, klar. Die startet 1993 mit der Eröffnung des Plattenladens Delirium in Köln. Seinerzeit habe ich mich vor allem von US Underground-House ernährt, nicht dieser Rave-Sound, der Anfang der 90er ganz groß war. Ich war eher für die intimere Clubmusik zu haben. Ich war dann tatsächlich der erste Kunde. Und die Enttäuschung war riesengroß. Ich hab direkt gemeckert, wie es sein kann, dass es hier nur vier Kisten mit Platten gibt, die mich interessieren.
Solche Kunden wünscht man sich...
Genau. Die vier Typen hinter der Theke haben mich mit großen Augen angeguckt. Wir kamen dann ins Gespräch. Und so kam es, dass ich angestellt wurde, um dort Platten zu bestellen. Nach einem halben Jahr habe ich das Erbe meiner Großmutter investiert, 1000 Mark, und war Teilhaber eines Plattenladens. Von da an ging alles relativ schnell. Das Selbstproduzieren und Musikveröffentlichen wurde immer wichtiger. 1998 wollten wir die zahlreichen Aktivitäten unter einem neuen Namen bündeln. Das war die Geburtsstunde von Kompakt.
Hast du zwischendurch gedacht, dass das wirtschaftlich vielleicht nicht vernünftig ist?
Ich habe mich schon mit zwölf als DJ gesehen. Die Welt der Disco hat mich magisch angezogen. Dass man damit sein Leben bestreiten kann, das war alles andere als klar. Aber damals Anfang der 90er war klar, dass es nichts Wichtigeres gibt als das, was da gerade passiert. Eine musikalische Bewegung, eine Revolution. Und entweder man war dabei, oder man hatte keine Ahnung und hatte so richtig was verpasst. Ich habe mein Studium 1995 bewusst abgebrochen, auch ein Stück weit, um mich unter Druck zu setzen, etwas aufzubauen, zu arbeiten und nicht nur zu feiern.
Wirtschaftlich hat es direkt funktioniert?
Ja! Die Kids waren am Wochenende im Club oder auf einem Rave, kamen danach direkt in den Plattenladen und wollten diesen Track haben, „der geht so: Dikki dikki di“. Wir haben wäschekorbweise diese Musik verkauft. Wir sind dann mit den Bedürfnissen des Marktes gewachsen. Wir wollten immer die komplette Kontrolle haben über unser künstlerisches Dasein.
Wie hat das funktioniert? Selbstausbeutung?
Ja, das würde ich vielleicht unterschreiben. Ich habe die letzten 30 Jahre, wirklich viel, sehr, sehr viel gearbeitet, sehr viel Herzblut in diese Sache investiert. Da verkauft man nicht einfach so.
Da seid ihr euch einig?
Ja, Kompakt Records ist unser Lebenswerk. Wir haben etwas Einzigartiges geschaffen, was nur mit uns als Chefs funktioniert. Würde hier ein Konsortium einsteigen, würde die Firma auseinanderbrechen. Es gab schon diese Angebote. Vielleicht in zehn Jahren, wer weiß. Aber im Moment nicht.
Ihr habt mit Minimal eine eigene Spielart elektronischer Musik geprägt. Ist das euer größtes Verdienst?
Das muss man sortieren. Das große kreative Verdienst in Sachen Minimal Techno gebührt auf jeden Fall Wolfgang Voigt. Kompakt war 1998 eigentlich schon „post-minimal“ war. Da wurde die Musik schon wieder voller, unterhaltsamer, bunter. Der Slogan war immer, dass wir dem Skelett Minimal, das wir irgendwann erfunden haben, eine Haut überziehen und mit Klamotten schmücken. Wir wollten unser eigenes Ding machen. Wir wollten auf gar keinen Fall so klingen wie Leute aus London, Detroit, Chicago, New York oder Paris.
Oder Berlin?
Schon mal gar nicht! (Lacht.) Das haben wir in der frühen Phase von Kompakt Records auch geschafft mit sehr mutigen Platten. Auch dass wir deutschen Gesang integriert haben, ist eine unserer Pionierleistungen. Das war vor uns komplett verpönt. Wir haben gezeigt, dass es geht. Am besten hat es der Journalist Philip Sherburne von Pitchfork gesagt: „Kompakt hat Techno ein freundliches Gesicht verpasst“. Auch als Abgrenzung zum klassischen Berliner Techno, der anonym und dark in dieser Pose verharrt.
Man wusste, um sechs kommt die Putzfrau, dann geht das Licht an. Deshalb spielten wir nicht bis sechs harten Techno. Sondern wir haben versucht, einen Bogen zu schließen, die Leute langsam wieder runterzufahren. Und mit einem schönen Lied auf den Lippen nach Hause zu schicken.
Michael Mayer
Hat das mit der Stadt zu tun, in der ihr lebt?
Ganz bestimmt. Da spielt der rheinische Frohsinn mit rein. Der Karneval und dass die Austragungsstätten für diese Musik ganz andere waren als in Berlin. Da hast du in einem besetzten Haus irgendwo eine Party gefeiert. In Köln hatten wir stattdessen kleine Clubs mit 200, 300 Leuten und etablierte Diskos, in denen das stattfand. Das prägt die Musik.
Wie? In Berlin gab es den großen Freiraum, auch ökonomisch.
Und in Köln gab es eine Sperrstunde. Man wusste, um sechs kommt die Putzfrau, dann geht das Licht an. Deshalb spielten wir nicht bis sechs harten Techno. Sondern wir haben versucht, einen Bogen zu schließen, die Leute langsam wieder runterzufahren. Und mit einem schönen Lied auf den Lippen nach Hause zu schicken. Das ist eine sehr kölsche Art zu feiern. Daraus wurde eine Art Kunstform, Musik zu schreiben, die in solchen Situationen ganz besonders gut funktioniert. Für die Momente, wo sich die Haut zwischen den Tänzern auflöst.
Habt ihr beim Produzieren nur an die Kölner Clubs gedacht? Kompakt hatte ja schon lange ein globales Publikum.
Dass die Welt auf uns aufmerksam wurde, war eher ein Nebenprodukt. Tobias Thomas und ich haben neun Jahre lang jeden Freitag die Partyreihe Total Confusion im Stadtgarten, im „Studio 672“ [heute Jaki] veranstaltet. Das war das pumpende Herz unserer Firma. Alles, was man die Woche über gemacht hatte, wurde da getestet und gefeiert. Die Synergie zwischen Party und Label war enorm. Wir haben immer Musiker zur Party eingeladen. Daraus ist ein Netzwerk von Gleichgesinnten entstanden, das immer internationaler wurde.
Berlin war vielleicht aber eher auf Augenhöhe mit anderen Metropolen. Das war in Köln nie so, oder?
Nein. Aber ich muss an dieser Stelle wirklich eine Lanze brechen für die Stadt. Sie hat sich in den letzten Jahren wirklich noch einmal gemausert. Auch gerade was Clubkultur angeht. Wir haben seit Mai einen richtig guten Club mit dem Fi an der Widdersdorfer Straße in Ehrenfeld. Das Gewölbe und das Bootshaus sind wahnsinsstolle Clubs. Aber das Fi ist wirklich der Club, der der Stadt noch gefehlt hat.
In einem Neubau auf einem Grundstück, das den Betreibern gehört, ein Club, der nicht vertrieben werden kann?
Ja, richtig. Die Gentrifizierung hat schon viel kaputt gemacht. Aber die Stadt findet sich selbst momentan besser, als sie sich Anfang der Nullerjahre fand. Dieses Gefühl, „Köln ist kool“. Da glüht die Kölner Seele ganz schön hell. Und das obwohl der Effzeh in der Zweiten Liga spielt. Ich glaube nicht, dass das früher so war. Damals war der Lokalpatriotismus BAP und Die Höhner, dieses Altrocker-Kölsch-Ding. Das hat sich deutlich verjüngt und ist cooler geworden. Vielleicht ist das aber nur mein Eindruck.
Gibt es einen Sound of Cologne? Vielleicht auch als Erbe von Stockhausen, dem Studio für elektronische Musik des WDR und dieser E-Musik-Herangehensweise?
Auch wenn Filmemacher, Journalisten oder Autoren immer wieder versuchen, die zu zeichnen: Von Stockhausen oder von Can zu Kompakt gibt es keine direkte Linie. Der Ursprung unserer Musik ist Acid House und nicht Krautrock. Wir wurden oft darauf angesprochen. Uns war das immer eher suspekt. Es war auch ganz komisch, als irgendwann Holger Czukay [Bassist der Krautrock-Band „Can“] auf der Party stand. Heute finde ich das natürlich toll, dass er da war, ein großartiger Künstler. Aber damals war das so: „Was wollen denn jetzt die alten Zotteln hier? (Lacht.) Das ist doch eine Jugendbewegung.“
Seid ihr eigentlich als Wirtschaftsunternehmen in diese Stadt eingebunden?
Da wir aus einer Subkultur kommen, war für uns aber nie wichtig, ob man uns wahrnimmt. Uns war klar, dass die ganze Szene zu einem Wirtschaftsfaktor geworden ist, irgendwann in den Nuller Jahren. Der Ausstoß an Musik, nicht nur von uns, war schon massiv. Im Vergleich zu Rimowa oder Ford aber auch wieder verschwindend gering. Einmal gab es auf Litfaßsäulen Plakate, Werbung für eine Veranstaltung der Stadt. Da war ein Bild drauf von einem Plattenspieler mit einer Kompakt Slipmat mit dem Adler.
Aus Eurem Logo?
Ja. Dazu muss man wissen, dass der Adler eigentlich der Stadt gehörte, das war ursprünglich das offizielle Logo der Stadt und wurde um 2000 neu entworfen. Da kam Wolfgang [Voigt] auf die Idee, den doch zu besetzen. So kamen wir zu dem Adler.
Vielleicht zum Abschluss: Welche Frage hättest du denn gerne noch beantwortet?
Ich weiß nicht, haben wir genug über meine Liebe zur Stadt gesprochen?
Ja, die kam durch. Du lebst gerne hier, oder?
Ja, ich bin ja kein gebürtiger Kölner. Ich bin seit 1992 hier. Aber ich fühle mich komplett adoptiert von der Stadt. Und meine Kinder sind im Severinsklösterchen geboren. Die haben einen kölschen Akzent, lieben den Karneval und den FC. Ich habe tiefe Wurzeln geschlagen. Die Stadt hat mir das alles gegeben. Und ich käme nicht im Traum darauf, irgendwo anders hinzuziehen. Köln ist nicht nur für meine Gigs in Paris, London oder Berlin verkehrsgünstig gelegen, sondern auch einfach eine wunderschöne Stadt.
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